Ric O'Barry – Leben nach Flipper | NZZ (2024)

Er wurde vom weltberühmten Tiertrainer, der Tümmler für die Rolle von Flipper dressierte, zum berüchtigten Tierschutzaktivisten. Im Gespräch erläutert der 72-jährige Ric O'Barry seinen einstigen Wandel und die Argumente gegen Delphinhaltung.

Urs Bühler

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Vor gut vierzig Jahren wünschte sich so ziemlich jedes Kind, in dessen Stube ein Fernseher stand, einen Collie oder einen Delphin. Lassie und Flipper hiessen die telegenen Vorlagen für diese Träume, und Ric O'Barry war eine der zentralen Figuren der Traumfabrik: Der Amerikaner trainierte die fünf verschiedenen Tümmler-Weibchen, die sich die Rolle von Flipper teilten. Gefangen hatte er sie eigenhändig im Meer.

Damals eignete er sich ein immenses Wissen über die Körpersprache dieser Tiere an, über ihr faszinierendes Wesen. Dann kam der Bruch, der den wohl berühmtesten Delphin-Trainer in eine andere Rolle katapultierte und in eine andere Welt.

«The Cove» und Conny-Land

Ric O'Barry döst auf dem Sofa, als der Journalist den für das morgendliche Gespräch reservierten Hotelraum im Zürcher «Central» betritt. Langsam richtet sich der 72-Jährige auf, rückt die Dächlikappe zurecht und quittiert die Frage nach einem allfälligen Jetlag mit Achselzucken: Er sei aus Deutschland angereist, vorher aber in China gewesen, in Singapur, Thailand, Japan.

Alles Stationen in seinem wortreichen Kampf gegen den Fang und die Haltung von Delphinen. Seine Wohnsitze sind in Miami und Dänemark, wo seine Frau herkommt und mit der gemeinsamen Tochter lebt. Er aber ist meistens auf Reisen.

In der Schweiz weilt Ric O'Barry, um in Zusammenarbeit mit der Organisation Ocean-Care die Öffentlichkeit aufzurütteln. Dass der Nationalrat jüngst ein Verbot für Delphinhaltung befürwortete, mit Zustimmung bis hinein ins bürgerliche Lager, sieht er als Signal für die ganze Welt; dass die kleine Kammer kurz darauf den Entscheid relativiert hat, indem sie nur ein Importverbot guthiess, freut ihn weniger.

Er hält mit der Waffe dagegen, die ihm in letzter Zeit die liebste geworden ist: das aufklärende Wort. «Solange ich sprechen kann, kenne ich keinen Ruhestand», hält er fest. Nicht die Politiker müsse er erreichen, um etwas zu verändern, sondern die Konsumenten. Die hätten letztlich die Macht. Lange genug habe er gebraucht, um das zu merken.

Am Tag vor unserem Treffen hat er an einer Demonstration vor dem Conny-Land in Lipperswil teilgenommen, dem einzigen verbliebenen Delphinarium der Schweiz. Dieses ist durch den noch nicht restlos geklärten Tod zweier Tiere im vergangenen Jahr wieder stark in die Kritik und die Schlagzeilen gekommen.

Anders als die Besitzer der Anlage ist der Gast aus Amerika überzeugt, dass auch das Ende dieser Tiere in stressbedingten Erkrankungen wurzelte. Denn Delphine würden, namentlich wegen ihrer enormen Geräuschempfindlichkeit, wie keine andere Spezies unter der Gefangenschaft leiden. Die Crux sei, dass ihr Gesicht den Eindruck erwecke, sie wären stets happy.

«Das Lächeln der Delphine ist die grösste Täuschung der Natur»: Das sagt Ric O'Barry in «The Cove», der 2009 mit ihm als Hauptfigur Furore machte und den Oscar für den besten Dokumentarfilm holte. Es geht um furchtbare Treibjagden in einer Bucht im japanischen Taiji, wo massenhaft Tiere für Delphinarien in aller Welt gefangen oder für den Verzehr in Japan getötet werden.

Trotz einigen schrecklichen Bildern setzt das Werk nicht auf billige Schockeffekte, sondern auf packende Hintergründe. Das Abschlachten ist durch das Material, das um die Welt ging, nicht ganz gestoppt worden. Doch statt wie vorher 20 000 Delphinleben im Jahr fordert es in dieser Bucht noch einige hundert.

Tier mit Identitätsbewusstsein

O'Barry selber prägte durch seine erfolgreiche Arbeit für «Flipper» einen Boom mit, der Delphinarien in aller Welt aus dem Boden schiessen liess. Dass auch deren Zahl mittlerweile vielerorts wieder gesunken ist, sieht er als einen Haupterfolg seines zweiten Lebens. In seinen Augen wäre das Conny-Land selber am besten bedient, wenn es die Delphinhaltung aufgäbe.

Das Argument, das Zeigen von Tieren fördere das Bewusstsein für diese, lässt er nicht gelten: «Wir brauchen keine gefangenen Tiere, um sie zu lieben. Sonst wären Dinosaurier kaum so beliebt.» Wenn schon, solle sich das Conny-Land aber auf seine Seelöwen konzentrieren. Die würden in Gefangenschaft weniger leiden. Selbst Schlangen, diese «kaltblütigen Kreaturen mit sehr kleinem Hirn», würden in Zoos besser gehegt als Delphine. Das wolle ihm nicht in den Kopf.

Sind denn für ihn nicht alle Tiere gleich, sondern einige – frei nach Orwell – gleicher als andere? O'Barry sieht grosszügig über die verquere Fragestellung hinweg und stellt klar, dass es nicht um Wertungen gehe. Ebenso wenig spreche er im Zusammenhang mit Tieren von Intelligenz. Der Begriff sei von Menschen geprägt. Dass sich Delphine aber ihrer Existenz und Identität vollkommen bewusst seien, gelte heute als wissenschaftlich bewiesen. Er habe es schon damals gewusst, in den Sixties – und doch mitgespielt in der Maschinerie.

Nach den Wurzeln seiner Faszination für die Meeressäuger befragt, deutet er durch das Hotelfenster auf die Limmat: So nah wie diese sei der Ozean bei seinem Elternhaus in Miami gewesen. Als Bub stand er im Sand neben seiner Mutter, als diese auf wilde Delphine zeigte und ihm von Artgenossen erzählte, die Menschenleben gerettet hatten. Das sei ihm bis heute geblieben.

So wie die Eindrücke von jenem Weihnachtstag des Jahres 1955, als in Miami ein Meeresaquarium eröffnet wurde und er mit offenem Mund ins riesige Fischbecken starrte. Auf dessen Grund stand ein Mann, und der Bub dachte: «Das ist es. Wenn ich dereinst aus der Navy komme, will ich seinen Job.» Gesagt, getan. Bald fing er auch Delphine und lieferte sie in die ganze Welt – auch ans Münchner Oktoberfest zur Volksbelustigung.

Er bedaure sein einstiges Verhalten noch heute sehr, räumt er ein, aber er zerfleische sich nicht mehr dafür. Die Frage, ob ihn noch immer das schlechte Gewissen antreibe, verneint er klar. Jetzt sei es die Überzeugung für seine Mission. «Wenn irgendwo auf der Welt ein Delphin in Not ist, dann klingelt mein Telefon», konstatiert er in «The Cove».

Die Wende in O'Barrys Leben

Die Läuterung vom Saulus zum Paulus war einst schleichend geschehen, aber es gab einen auslösenden Moment Anfang der siebziger Jahre: Kathy, eine der «Darstellerinnen» von Flipper, war wie die anderen in der Serie engagierten Tiere nach deren Ende in einem Meeresaquarium untergebracht. Sie starb eines Tages in seinen Armen. Er ist überzeugt, dass sie bewusst mit Atmen aufgehört, sich also das Leben genommen habe aus Verzweiflung über ihre Gefangenschaft.

Die Wut über diesen Verlust warf ihn aus der Bahn und entlud sich später in jahrelangem Tun als Aktivist. Sehr oft wurde er verhaftet. Einige Mitkämpfer bezahlten mit dem Leben. Heute zieht er beschaulichere Wege vor, wie er in breitem amerikanischem Englisch erzählt. Er gehe zu den Leuten, gebe sein Wissen weiter und seine Erfahrungen.

Und ganz selten, wenn er im Hotel den Fernseher einschaltet, gerät er zufällig in eine «Flipper»-Folge. O'Barry formt die Hand zur Delphinschnauze, schnappt zwei-, dreimal mit den Fingern, erzeugt im Gaumen ein schnatterndes Geräusch – und verdreht die Augen: Dann schalte er sofort wieder aus.

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